von Sonja Mannhardt | Juni 1, 2016 | Allgemein, Blog

Mit einem riesigen Zettel sitzen Mutter und Sohn vor mir in der Beratung. Schön bunt ist der Zettel und säuberlich untergliedert in „rote“, „gelbe“ und „grüne“ Lebensmittel. Die roten und gelben sollen tunlichst vermieden werden, so die Empfehlung der Firma, der diese Tests verkauft. Über 100 Euro hat er gekostet und nun sitzen sie bei mir, der Sohn blass, die Mutter frustriert, denn er hat schon einige Kilos wegen seiner Weglassdiät abgenommen und seine Mutter weiß nicht mehr, was sie kochen soll.
Eier soll er nicht mehr essen und Getreide, natürlich keine Milch und Milchprodukte, kein Soja, keine Tomaten, keine Sonnenblumenkerne, keine Mandeln, keine Haselnüsse und noch viele, viele andere Lebensmittel sollen vermieden werden, denn der Sohn leide, laut Test unter mehr als 20 Lebensmittelunverträglichkeiten!
Wirklich?
Natürlich handelt es sich bei IgG-Tests tatsächlich um ein Immunglobulin das tatsächlich gemessen werden kann. Doch bedeutet eine Messung gleichzeitig ein pathologisches, krankhaftes Geschehen? Das zumindest behaupten die Hersteller solcher Tests.
„Sie heißen Allergie-Check, Lebensmittel-Reaktionstest oder Nahrungsmittelunverträglichkeitstest und werden für die Selbstdiagnose auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten für zu Hause angeboten – ganz praktisch, „ohne Arzt“. Doch solche Tests widersprechen gleich in mehreren Aspekten dem aktuellen wissenschaftlichen Stand der Medizin und der Ernährungswissenschaft.“
Hier wird ein Riesengeschäft mit Unverträglichkeiten gemacht, auf Kosten von Patienten! So auch bei obigem Jungen.
Natürlich hat er ein atopisches Krankheitsbild, natürlich hat er auch ab und zu Bauchschmerzen, doch leidet er auch an „zahlreichen Lebensmittelunverträglichkeiten“, wie sein Allergie-Check meint? Nach einer einstündigen Anamnese, eines eingehenden Assessments und einer profunden Ernährungsdiagnosik ist klar: Dieser Junge braucht all diese Nahrungsmittel NICHT wegzulassen! Im Gegenteil. Diese strikte Weglassdiät macht ihn erst recht krank! Wir führen, wie es sich für eine professionelle Ernährungstherapie gehört die Lebensmittel wieder ein und führen dann ein akribisches Symptomtagebuch und siehe da: Der Junge reagiert auf KEINES der auf der Liste stehenden Lebensmittel. Er hat KEINE der angeblichen Nahrungsmittelunverträglichkeiten!
Womit einmal mehr bewiesen ist: Diese „wunderbaren“ Tests messen lediglich, was der Mensch schon einmal zu sich genommen hat, womit sich sein Immunsystem schon einmal auseinandergesetzt hat und NICHT, was er nicht verträgt. Doch wer will schon per Labortest „bewiesen“ bekommen, dass er schon einmal mit Tomaten in Berührung kam und wer will dafür schon über 100 bis 350 Euro bezahlen?
Ich nenne das nicht nur rausgeschmissenes Geld, sondern Patientenwohl-Gefährdung! Bleibt zu hoffen, dass Patienten auf die Werbebotschaften solcher Firmen nicht mehr reinfallen. Mit diesem Geld kann man sich tatsächlich ein profunde allergologisch-gastroenterologische Diagnostik beim Arzt oder eine ernährungstherapeutische Diagnostik einkaufen! Von Selbstdiagnosen muss an dieser Stelle wieder einmal eindringlich abgeraten werden. Nicht ein Test stellt Diagnosen sondern Experten, die MIT dem Patienten gemeinsam, den Symptomen auf die Spur gehen. OHNE den Dialog zwischen Arzt/Ernährungsfachkraft und Patient ist keine seriöse Diagnose und Symptomanalyse möglich und das wird sich auch im digitalen Zeitalter nicht ändern.
Unsere Empfehlung:
Gleich Termin vereinbaren und mit professionellen Fachkräften auf Spurensuche gehen! Das erspart Ihnen u.U. viel Zusatzleid durch nutzlose Diäten, sondern darüber hinaus auch eine Menge Geld.
ZDF-Plusminus
Ernährungs-Umschau
IgG Tests – Was misst der Test
Stellungnahme
von Sonja Mannhardt | Mai 30, 2016 | Allgemein, Blog
Eine Mutter und ihr adipöser Sohn kommen zu mir zur Beratung. Hinter der souveränen Mutter trottet ein 11 jähriger Junge hinterher, der sichtlich unwillig mitgekommen ist. Die beiden betreten den Beratungsraum. Ich bitte den Jungen, sich einen Platz zu wählen und ich erkenne sofort sein Erstauen, so als ob er überrascht sei, gefragt zu werden. Dieser Eindruck verstärkt sich im Laufe der Beratung, in der die Mutter häufig das Wort ergreift, obwohl ich mit dem Jungen rede und der Junge bei einer Frage den Kopf dreht, so als ob er sich nicht trauen würde, mir selbst zu antworten und erst die Mutter fragen müsse, bevor er antwortet.
Kinder wollen gefragt werden!
Wollen wir gehorsame Befehlsempfänger großziehen, oder wollen wir selbstständig denkende Menschen in ihr eigenständiges Leben begleiten? Dann sollten Eltern so schnell wie möglich Kinder ernst nehmen und sie dort um ihre Meinung fragen, wo sie selbst entscheiden können.
Doch keinesfalls überall, sollten Kinder gefragt werden. Es gibt Dinge, dafür sind Eltern verantwortlich und sollten diese Verantwortung nicht an die Kinder abgeschoben werden.
„Was willst du morgen essen?“ Viele Mütter sind stolz darauf, die Kinder an dieser Stelle einzubeziehen, doch an dieser Stelle sind Kinder (übrigens auch Männer) vollkommen überfordert. Sie sind nicht die Experten eines ausgewogenen Mahlzeitenangebots, sondern im Höchstfall Experten ihrer Vorlieben und wünschen sich selbstverständlich immer das, was sie am liebsten essen. Oder sie antworten, wie auch Ehepartner antworten. „Entscheide Du das“ und damit haben Sie Recht, denn:
Kinder wollen Verantwortung übernehmen!
aber nur dort, wo sie diese auch haben.
Es sind nicht die Kinder, in deren Verantwortung es liegt, entsprechend einem Familienbudget zu handeln, sprich: Einkaufen, Vorratshaltung, Mahlzeiten zusammenstellen, ein Mahlzeitenangebot machen u.v.m. Doch meine Erfahrung ist, dass viele Eltern mir sagen: „Bei uns bestimmt nur das Kind, was es zu essen gibt.“ „Gemüse gibt es bei uns schon lange nicht mehr. Er isst es ja doch nicht.“ „Wir essen nicht mehr gemeinsam. Jeder isst, wann er will.“ „Er will halt drei Schnitzel, mein Mann will auch drei. Deshalb kaufe ich 7 Schnitzel.“ Sprich: Eltern delegieren an den falschen Stellen ihre eigene Verantwortung an die Kinder ab. Damit sind Kinder überfordert und handeln nach ihrem eigenen Gusto, aber keinesfalls Vernunft bezogen.
Doch wo sollten Eltern ihren Kindern Verantwortung für Ihr Handeln übertragen? Kinder jedenfalls sind sich da einig und haben eine klare Vorstellung davon:
Ich möchte entscheiden, OB ich essen möchte, oder nicht
Ich möchte entscheiden, WAS ich aus einem gemachten Angebot auswählen möchte
Ich möchte entscheiden, WIE VIEL ich essen möchte
Menschen wollen verstanden werden!
Doch was so einfach klingt, ist für beide Seiten nicht so leicht. Und wenn ich es recht bedenke, für Kinder, egal ob dick, ob dünn, ob jung, ob pubertär, wesentlich einfacher, als für die Eltern.
Und genau hier beginnt die Problematik:
Ein Großteil von Ernährungsproblemen sind pädagogische Herausforderungen und bedürfen weitaus mehr, als ein wenig „Wissensvermittlung“ rund um „gesunde Ernährung“. Professionelle Ernährungstherapie unterstützt Eltern und Kinder gleichermaßen, das eigene Verhalten und den Anderen besser zu verstehen.
Wir begleiten die ganze Familie und sehen professionelle Ernährungstherapie nicht nur als medizinische Herausforderung, sondern als Chance, dass Eltern und Kinder über die Erkrankung ihrer Kinder in ein neues Familiengleichgewicht kommen. Professionelle Ernährungstherapie ist eine besondere Form pädagogischer Beratung denn….Essen ist mehr als Ernährung und menschliches Verhalten immer auch emotional und sozial und damit von den MITmenschen abhängig.
Vereinbaren Sie einen Termin.
Professionelle Ernährungstherapie wird von den meisten Krankenkassen mit einer Bonuszahlung belohnt und zwar einmal pro Jahr. Profitieren Sie, für Ihr Wohl und Gleichgewicht.
von Sonja Mannhardt | Apr. 27, 2016 | Allgemein, Blog
Von Platon ist der Satz: „Die erste aller Wissenschaften ist es, sich selbst verstehen.“ Und genau darum geht es in der professionellen Ernährungstherapie. Nicht um Wissen dreht es sich, denn Google kann das besser als wir. Es geht um pädagogische Begleitung und Selbsterkenntnis.
Warum esse ich so und nicht anders?
Weshalb fällt es mir so schwer umzusetzen, was ich längst weiß?
Wozu halte ich an sichtbar selbstschädigendem Verhalten fest?
Zu glauben, dass Mensch ein animal rationale sei, ein rationales Wesen, der irrt! Menschen handeln nicht rational, sondern ganzheitlich. Menschen handeln nicht unvernünftig, sondern in der größten Unvernunft höchst sinnvoll. Am ehesten wird das klar, wenn wir uns einmal anschauen, was passiert, wenn jemand erkennt, wozu er tut, was er tut und dann nicht rationale Veränderungen anstrebt, sondern ganzheitliche.
Heute war Alexandra bei mir, zum zweiten mal erst, aber mit grandiosen Neuigkeiten. Ihre Essatacken sind so gut wie verschwunden und auch sonst hat sie ihr Ziel, wieder „normal“ essen zu können erreicht. Nach nur 60 Minuten Beratungszeit. Wie ist das möglich? Nicht Aufklärung über gesunde Ernährung wurde betrieben, oder Wissensvermittlung über die gesunde Lebensmittelauswahl, auch kein Belehren, was denn gut und richtig wäre, sondern Alexandra als GANZER Mensch wurde ins Zentrum der Beratung gestellt.
Mit Hilfe von prof.eat Tools haben wir uns ihren Alltag ganz genau angeschaut. Sie hat mich quasi zu sich nach Hause und zu sich zu Ihrem Essen mitgenommen. Wir haben gemeinsam vergegenwärtigt, was da is(s)t…und da – es fiel Alexandra mit einem Mal ganz leicht zu erkennen, wozu sie so isst, wie sie isst. Sie verstand plötzlich ihre Essatacken und was sich unsichtbar dahinter verborgen hat. Dieses sich selbst erkennen führte innerhalb ganz kurzer Zeit dazu, dass sie selbst, ganz ohne fremde Hilfe, während der Beratung ihre eigenen bisher nicht gedachten Lösungen fand. Plötzlich ging alles so leicht! Und schon IN der ersten Stunde schaffte Sie es, sich ihre eigenen (R)AUSwege zu entwickeln.
Ich konnte schon erkennen, dass sich in der ersten Stunde einige Denkknoten lösten und Alexandra ein Tiefenverständnis entwickelte, sich selbst und ihr Handeln oder nicht tun, besser zu verstehen. Doch nie hätte ich gedacht, dass diese eine Stunde so viel bewirkte.
Heute nach nur 3 Wochen seit dem ersten Termin, hat mich Alex mit komplett überrascht. Wir waren uns in der Stunde einig, dass kein weiterer Termin momentan nötig ist, sondern sie selbst vielmehr ihr eigener guter Berater geworden ist. Und – diese Zeilen habe ich eben auch noch erhalten….
„Hallo Sonja,
mir gehen nun doch noch einige Dinge durch den Kopf. Ich war selbst so freudig überrascht, dass das alles war und es so einfach gewesen ist. Ich wollte Dir danken, dass du mir den letzten Anschub zu mir Selbst gegeben hast.
Mir wird nun auch so einiges klar und zwar, dass ich ganz alleine die Bulimie bekämpft habe.
Vor ein paar Wochen war es wirklich noch so, dass wenn ich unter Stress stand und mich einsam und allein fühlte alles in mich hinein geschlungen habe und das 2 bis 3 mal jeden Tag.
Mein Mann hat mir sehr viel Kraft gegeben und war für mich da, auch wenn er nicht helfen konnte hatte ich zumindest jemanden der mich in die Arme nahm und mir Mut machte.
Nun weiß ich, dass ich nicht mehr alleine bin und das keiner von uns, denn man tut sich selbst das großartigste und wundervollste Geschenk auf Erden, wenn man auf seinen Körper und Gefühle hört und aus den eigenen vermeintlichen „Fehlern“ lernt und das Positive darin verborgen sieht.
Man findet zu sich selbst.
DANKE!
Noch eine Frage wie bist Du zu dem Beruf gekommen und wie erlernt man den?“
Ich habe Alex gesagt, wie man Ernährungstherapeutin wird. Nicht, indem man Ernährung „studiert“, nicht indem man Menschen sagt, was für sie gut ist, was gesunde Ernährung ist und was „richtig“ ist. Nicht, indem wir uns als Besserwisser aufspielen und auch nicht in dem wir Ratschläge erteilen, Listen verteilen und Tipps geben.
NEIN – man wird Ernährungstherapeutin, in dem man eine fundierte Ausbildung macht (ich studierte Ernährungswissenschaft) und danach so schnell wie möglich den Menschen als ganzheitliches, soziales und emotionales Wesen verstehen lernt und sein Essen als Zugangsweg zu einer ganz besonderen Lebensbewältigung erkennt. Ernährungstherapeutin wird man dann, wenn man Menschen zuhört und verstehen will, was sich „hinter den Esskulissen“ so alles verbirgt. Sprich – Ernährungstherapeutin wird man, wenn man MENSCHEN und ESSEN liebt 🙂
von Sonja Mannhardt | März 16, 2016 | Allgemein, Blog
Sie hat sich jetzt nach 10 Jahren „Kampf mit ihrem Gewicht“ dazu entschlossen, sich einer bariatrischen Intervention (βαρος: Schwere, Gewicht) zu unterziehen, sprich einem chirurgischen Eingriff um ihr Gewicht in den Griff zu bekommen, um ihre ungeliebten Pfunde „weg zu machen“.
So kommt die mir bekannte Patientin gestern bei mir vorbei (Sie war von 2007-2008 für ein paar wenige Beratungen bei mir), um sich bei mir eine Bescheinigung abzuholen, dass Sie
a.) bei mir war – sprich sie sich ja in der Vergangenheit bemüht hat, ihr Gewicht zu reduzieren und
b.) bescheinigt bekommt, dass sie leider „mit dieser konventionellen Beratung“ nicht erfolgreich war.
Erfolglos ist nach Leitlinien
Im Bereich Ernährung: Wer trotz kalorienreduzierter Ernährung nicht erfolgreich abnehmen konnte (Was hier nicht erwähnt wird, ist, dass a.) Es bei Adipositas gar nicht um Ernährungswissen geht und b.) wir für eine Ess- und ERnährungsanamnese, für eine genaue Ernährungsdiagnostik und Maßnahmen zur Verhaltensänderung genau 5 Einheiten a 45 Minuten bekommen! – so als ob es gelingen könnte in 3 Treffen Geige spielen zu lernen! c.) professionelle Ernährungsberatung nichts mit Wissensvermittlung und der Verordnung einer Diät zu tun hat und ich d.) in 28 Jahren Arbeit mit adipösen Menschen noch nie erlebt habe, dass eine rein körperliche und kognitive Betrachtung genügt hätte.
Im Bereich Lebensstil: Wer IN DER GRUPPE nicht seinen Lebensstil dauerhaft anpassen konnte. Lebensstilanpassungen sollen also in der Gruppe erfolgen? Ich habe noch nie eine Gruppe erlebt, in der offen über eine schwere Kindheit, Missbrauch, Auslöser für Fressattacken, sehr private Schwierigkeiten „im Lebensstil“ gesprochen wurde…- doch genau so ein Setting (Gruppenschulung – weil effizienter) soll durchgeführt werden!
Und genau WEIL Adipositas und deren Therapie noch immer so verstanden wird, suchen immer mehr Menschen „Hilfe“ durch die Adipositaschirurgie, egal wo auch immer die Gründe für ein massives Gewicht zu suchen sind, weil das ja die Krankenkasse bezahlt.
Auch bei mir sind nur wenig Patienten bereit, mehr als 3 Zeitstunden in professionelle Begleitung zu investieren….So bleiben die Hintergründe und Gründe von Ess-und Ernährungsverhalten, nicht veränderbaren Lebensstils und Adipositas meist im Dunkeln oder nur an der Oberfläche angekratzt….
Bei meiner obigen Patientin wären die Gründe wie folgt gewesen, doch jetzt soll es die Chirurgie richten:
> Sie leidet seit Jahren an einer schweren Psychose – immer wieder mit Einweisungen in die Psychiatrie und natürlich mit Einnahme von Psychopharmaka, die nachweislich massive Gewichtszunahmen und Fressatacken zur Folge haben.
> Sie hat keinerlei „Zugang“ zu ihren Gefühlen und futtert bei jeder Gelegenheit alles „in sich hinein“. Nicht bei den Mahlzeiten liegt ihr Haupt-Problem (sie isst gerne Gemüse wenn es jemand für sie kocht 🙂 und ihre Essensmengen hat sie weitestgehend im Griff – nur bei Süßem und in Heißhungerattacken kann sie nicht widerstehen. Ihre Probleme liegen also ganz eindeutig beim psychoemotional und psychosozial induzierten Essen. Wenn es ihr „nicht gut geht“ und es geht ihr meist nicht gut, weil ihr Job sie frustriert, sie keine Partnerin findet, sie keine Freunde hat und so gut wie keine Hobbys pflegt, „frisst“ sie sich häufig durch ihre Vorräte….und wird trotzdem „nicht und nie satt“…
> Ihr Beruf und ihr fehlender Zugang auch zum Gefühl „Hunger“ (den spürt sie ja auch nicht, weil sie permanent am essen ist) verschärft die Problematik, weil sie keinen geregelten Tagesablauf hat und nur isst, wenn sie „mal Zeit dazu hat“- also erst abends, doch dann übermannt sie der Heißhunger.
> Sie hat sich mir vor Jahren als lesbisch anvertraut – ein Faktum, was sie in größte Schwierigkeiten in ihrer so „perfekten Familie“ und gläubigen Protestanten brachte. Sie ist das schwarze Schaf der Familie und die Leute „durften von all dem“ nichts erfahren.
> Sie „rebelliert“ noch immer gegen ihre Mutter (eine schlanke, hübsche Frau), die ein braves, hübsches, mit Bluse gekleidetes Töchterchen haben wollte und ihre Tochter wie sie ist, ablehnt. Ihr unbewusstes Motiv, sich an der Mutter zu rächen? „Du bist schuld, dass es mir so schlecht geht.“ Doch offenbar konnten ihr in diesen unbewussten Fress-Themen auch die zahlreichen Psychotherapien und Psychiatrieaufenthalte nicht helfen.
Sie glaubt fest daran, dass ihre Probleme sich damit lösen. „Wenn ich schlank bin, ist mein Leben schön“, „Wenn ich schlank bin geht es mir endlich gut“ , „Wenn ich schlank bin finde ich eine Freundin“, „wenn ich schlank bin habe ich Erfolg im Beruf“ – und ihre Ärzte schüren offenbar dieses Gefühl, denn sie ist ganz beseelt davon, „dass es bald soweit ist“.
Magenbypass und Schlauchmagen:
Während vor einigen Jahren „nur“ ein Magenband gelegt wurde, oder ein Magenballon eingesetzt wurde, hat sich in den letzten 8 Jahren die Adipositaschirurgie gewandelt. Die beiden wenig invasiven Methoden sind drastisch zurück gegangen, wohingegen sich Magenbypass und Schlauchmagen innerhalb weniger Jahren vervierfacht haben. Jährlich werden bei uns ca. 8500 dieser unumkehrbaren Eingriffe durchgeführt.
Ein Mensch wird künstlich verstümmelt und die wissenschaftliche Literatur ist voll von Studien, die die „körperlichen Erfolge“ rühmen. Doch was ist mit der Körper-Seele-Einheit Mensch? Doch zuvor einmal ein kleiner Blick dahin, WOZU solche Operationen gemacht werden:
ZIELE
Die entscheidenden Faktoren für die Durchführung einer solchen Operation sind:
die Verbesserung der gesundheitlichen Situation (Gewicht, Blutdruck, diabetische Stoffwechsellage, Dyslipidämien)
das sich dauerhaft ändernde Ess- und Ernährungsverhalten,
die Einhaltung eines gesunden Lebensstils.
und laut Leitlinien: Eine Verbesserung der Lebensqualität…
Ist das nicht interessant? Gesundung wird nur noch am Körper festgemacht?
Das was auf herkömmliche Art und Weise nicht erreicht werden kann, weil Mensch eben NICHT isst, wie er isst, ausschließlich aus Vernunftsgründen, wird durch eine künstliche Verstümmelung dazu gezwungen, sein Verhalten zu ändern und endlich zu tun, was doch alle für ihn für richtig erachten: Sein Verhalten zu ändern und einen gesunden Lebensstil pflegen….frei nach dem Motto: „Und bist du nicht willig so brauch ich Gewalt“, dann wird das schon….
Ist es nicht interessant?
Der Mensch, der aufgrund einer körperlichen Verstümmelung gar nicht mehr anders KANN als minimale Mengen zu essen und auf unverträgliches Essen zu verzichten, hat laut Medizin sein Ziel „Änderung des Essverhaltens“ erreicht?
Und ist es nicht interessant?
Ein Hochgefühl (ich nehme ab – toll!), sprich ein Honey-Moon Gefühl, sowie die Verbesserung von Laborwerten (mein Blutdruck ist normal, ich brauche kein Insulin mehr) gleichgesetzt werden mit „Verbesserung der Lebensqualität“? – Ist das so? Sind mit einer Normalisierung des Gewichts tatsächlich alle Probleme eines adipösen Menschen vom Tisch und seine Lebensqualität tatsächlich im GANZEN besser?
AUSWAHL der Patienten
Es besteht Konsens, dass sich viele Experten austauschen sollten, ob ein Patient geeignet sich, sich unters Messer zu begeben oder nicht. Doch wirklich ernsthaft befragt über einen meiner Patienten – meine Schweigepflicht aufzugeben und zu berichten über meine Erkenntnisse (das genaue Assessment, die genau Ernährungsdiagnostik, die genaue Evaluation) – nein, das ist in 28 Jahren noch nie vorgekommen.Es genügte stets zu bescheinigen, dass jemand DA war und wie häufig…- mehr wollte man gar nicht wissen….
Und wie wird die „Vorauswahl von geeigneten Patienten“ getroffen, wenn Fachkräfte wie ich gar nicht gefragt werden? Es solle eine Bereitschaft zur Mitverantwortung seitens des Patienten bestehen……Natürlich sagt meine Patientin alles, was Ärzte dazu hören wollen, denn sie will ja auf jeden Fall die Operation. Natürlich redet sie sich diesen Schritt selbst schön, damit diese „Behandlung“ wie Adler sagt: „einem positiven Zweck dient“. Natürlich ist sie bereit „Mitverantwortung“ zu zeigen (was immer darunter verstanden werden will).
Doch kennt Sie auch die Risiken und Konsequenzen? Weiß Sie, was auf sie zukommt? Ist sie aufgeklärt darüber, wie ihr Leben danach aussieht?
Da habe ich das Gefühl, dass sie hier eher nicht hinschauen will und der behandelnde Arzt ihr alles andere als reinen Wein eingeschenkt hat…
Magen-Bypass
„Der Magenbypass ist aktuell der 2.häufigste Eingriff in Deutschland.
Beim Magenbypass wird der Magen wenige Zentimeter unterhalb des Mageneingangs abgetrennt. Es verbleibt ein kleiner Restmagen, „pouch“, der ca. 15 ml fasst und als Bremse für die zugeführte Nahrung dient. Auch der Dünndarm wird durchtrennt. Das eine Ende des Darmes wird an den kleinen Restmagen angeschlossen und das andere so umgeleitet, dass die Nahrung und Verdauungssäfte erst im mittleren Dünndarm vermengt werden und der obere, direkt an den Magen anschließende Dünndarm umgangen („engl. Bypass“) wird. Die Verdauungssäfte werden in den tieferen Darmabschnitten eingeleitet und somit kann erst hier die Verdauung durch die Aufspaltung der Nahrungsbestandteile beginnen. Die Folge ist, dass nicht alle Nahrungsbestandteile zerlegt werden können und somit nur ein Teil aufgenommen „resorbiert″ werden. Es stehen somit weniger Nahrungsbausteine dem Blut zur Verfügung. Die nicht verdaute Nahrung wird in den Dickdarm befördert. Es ist vorrangig ein malabsorptives Verfahren mit milder Restriktion.“ (Ärztezitat).
(malabsorptiv: die Aufnahme der Nährstoffe aus dem Darm ist herabgesetzt). In meiner Sprache heißt das eine künstlich hervorgerufene Verdauuungsproblematik, sprich der natürliche Verdauungsprozess wird verändert mit massiven Folgen:
Aufnahme der Kalorienträger wird vermindert (ist erwünscht)
Aufnahme von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen gestört
Insbesondere kann Vitamin B 12 nicht mehr über die normale Verdauungsleistung „resorbiert″ werden und die Gabe muss lebenslang per Injektion erfolgen.
In Einzelfällen gilt das auch für die Aufnahme von Eisen. Auch die Gefahr von Osteoporose steigt. Die dauerhafte Einnahme eines Multivitaminpräparates ist täglich erforderlich.
Durch die wegfallende Funktion des Magens kann es zu einer massiven Fehlbesiedelung kommen. Die hochsensible Welt des Mikrobioms wird in ein Ungleichgewicht gebracht, was Konsequenzen hat, die noch nicht gänzlich erforscht sind. Doch schon heute weiß man, dass die Darmbakterien nicht nur körperliche Funktionen haben, sondern sich auch auf die Psyche auswirken.
Bestimmte Medikamente dürfen nicht mehr oral eingenommen werden, weil sie die Darmschleimhaut schädigen können. Andere sind in ihrer Wirksamkeit herabgesetzt, z.B. Hormone.
Je nach Nahrungszusammensetzung kann es zu Nebenwirkungen, wie Blähungen, übelriechenden Fettstühlen, Durchfällen und dem sogenannten „Dumping-Syndrom” mit Kreislaufabfall und blitzartiger Darmentleerung nach dem Verzehr sehr zuckerhaltiger Speisen und Getränke kommen.
Die bremsende Wirkung des „pouch″ kann im Lauf der Zeit verloren gehen und somit der gesamte Operationsnutzen.
Magenspiegelungen sind nicht mehr möglich und auch nicht das endoskopische Entfernen von Gallengangssteinen. (ERCP).
Zahlreiche Studien zeigen eine höhere Selbstmordrate nach den Operationen (zweifach erhöhtes Risiko)Nach den Operationen können psychische Erkrankungen wieder auftreten oder sogar neu auftreten.
Zuvor vorliegende Depressionen zeigen nach den Eingriffen in Studien keine Besserung der Symptomatik. Forscher fanden heraus, dass dies mit einer sich deutlich verringernden Selbstachtung und zunehmenden Veränderungen des Soziallebens einherging.
Von postoperativen Komplikationen wie Wundheilungsstörungen, Infektionen und Co. ganz einmal abgesehen…
und auch davon, dass nach der OP weitere chirurgische Eingriffe zur „Körperkonturierung und funktionellen Rekonstruierung“ notwendig werden – sprich massive Hautlappen entfernt werden müssen….Doch das sieht die Adipositaschirurgie nicht als zur Behandlung der Adipositas zugehörenden Problems an….und damit auch nicht zu anfallenden Folgekosten.
Doch trotz all dieser Risiken, steht in den Leitlinien sogar, dass die bariatrischen Interventionen sogar als „Primärtherapie“ durchgeführt werden kann, also auch OHNE vorher andere Maßnahmen ausgeschöpft zu haben….sprich chirurgische Verstümmelung wird per se als „Behandlungsmethode“ anerkannt.
Schlauchmagen
Die Verkleinerung des Magenvolumens erfolgt dadurch, dass 90% des großen gewölbten Magenteils entfernt werden. Der Magen hat danach die Form eines Schlauchs, dessen Füllungsvermögen bei ca. 85-100ml liegen.
Es ist ein unumkehrbares Verfahren. Ein Teil des Magens wird dauerhaft entfernt. Mangelernährungszustände sind vorübergehend möglich. Diese können durch die regelmäßige Teilnahme an den Nachsorgeterminen in der Ernährungsambulanz und der gezielten Ernährungsberatung erkannt und behoben werden – sprich wir Ernährungsfachkräfte mutieren damit zur „Reparaturdienstleistung“.
Auch hier kann es durch dauerhaftes Überessen zu einer erneuten Weitung des Magenschlauches kommen. Eine bereits vor der Operation bestehende Refluxerkrankung kann sich manchmal verschlechtern.
Kosten-Nutzen-Analyse
Solch eine Operation kostet 7.500 Euro und Ärzte werden nicht müde die Kostenersparnis einer solchen Methode vorzurechnen, schließlich würden ja Folgekosten gespart….
Nur – ist das nicht eine vollkommene Milchmädchenrechnung?
Zu uns kommen Menschen mit Adipositas gerade mal 3,5 Zeitstunden (Kostenrahmen, der von den Krankenkassen übernommen wird). Würden unsere Kosten dauerhaft von den Krankenkassen übernommen werden, so könnten wir mit diesem Geld unsere Patienten 10 Jahre effektiv begleiten.
Und was ist mit den seelischen Sorgen, Ängsten, Nöten meiner Patientin? Was mit den „Hintergründen“ des Essverhaltens, die sich doch nicht einfach in Luft auflösen, dass man sie künstlich unterbindet? Wer kümmert sich darum? Was kostet das?
Und danach?
Neulich ist mir eine weitere Patientin auf der Straße begegnet – auch Sie hat sich vor einigen Jahren für eine bariatrische Intervention entschieden, nachdem sie erfolglos an einem Gewichtsreduktionskurs teilgenommen hat und sich dann noch für 3 Stunden Ernährungstherapie bei mir entschied….
Ebenfalls erfolglos, denn in 3 Sitzungen können wir Ernährungsfachkräfte keine Wunder bewirken, gerade weil sich hinter Adipositas permagna immer ein schweres Schicksal verbirgt. Auch sie hat sich damals eine Bescheinigung abgeholt, dass es „nicht funktioniert“ hat.
Ja heute ist sie gewiss 30 kg leichter (die OP war also erfolgreich?), doch ihr Gang war noch immer der eines stark adipösen Menschen und ihre Seele? Ob sich jemand ihrer Geschichte angenommen hat? Ich weiß es nicht.
Damals wusste sie nicht, ob sie Frau bleiben wollte oder doch zum Mann werden will (sie trägt heute Bart, die Kleider sind dieselben – alles verdeckt und „geschlechtsneutral“) – Ob sie jemandem erzählt hat, wie und wodurch es zum Suizid ihres Bruders kam? Ob sie jemandem von ihren Missbräuchen erzählte? Ob ihre Ärzte wissen, wie und wozu sie Unmengen Essen in sich hineinstopfte, um überhaupt etwas zu spüren?
Als sie mich sah, hat sie die Straße gewechselt. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich schämt…schämt, weil sie sich noch immer kein Stück näher gekommen ist – trotz verlorenem Gewicht und trotz dem verlassen ihrer weiblichen Hülle – und immernoch ein ganz zerbrechliches seelisches Wesen, das noch immer seinen Platz in dieser Welt sucht….
Und der Preis der extreme Gewichtsabnahme noch mit sich bringt? Die massiven Hautlappen am Bauch und an den Oberschenkeln, überall und trotz ihrer sackartigen Kleider dennoch sichtbar – Um wirklich schlank zu sein, muss sie sich noch zahlreiche Mal auf den Chirurgentisch legen, denn die Haut hängt wie ein zu groß gewordener Mantel an ihr. Wird sie ihn dann lieben können, ihrem Körper und in Selbstliebe leben – Begriffe, die sie ablehnte, so lange sie denken konnte, und wie sie mir, ihrer „Ernährungsberaterin“ beim letzten Gesrpäch unter Tränen anvertraute….
Ja – an dieser Stelle hätten wir weiterarbeiten können, hätten wir hinter die Kulissen ihres Gewichts und Selbstablehung, schauen können und versuchen können dass sie sich besser versteht; doch dazu kam es nicht. Die Kassen geben uns Ernährungsfachkräften ja nur eine Kostenübernahmezusicherung für 3.5 Zeitstunden….und auch in der Nachsorge, wenn es sie dann gibt, sollen wir ja nur eines tun: Durch Ernährungsaufklärung Fehl- und Mangelernährungszustände vermeiden.
An dieser Stelle und mit Blick auf alle Klienten, die jemals Unterstützung bei mir suchten, aber insgemein nur ein „Scheitern einer konventionellen Begleitung“ wollten, um „sich endlich operieren zu lassen“, sehe ich es mehr als fragwürdig, dass diese Menschen überhaupt einer bariatrischen Intervention unterzogen wurden, zumal in den aktuellen Leitlinien doch ausdrücklich steht, dass „beim Vorbestehen psychischer Erkrankungen Vorsicht geboten ist“.
Doch diese Bestrebungen wundern mich keineswegs, zumal es auf Seite 76ff der aktuellen Leitlinien ja eine ganz einfache „Checkliste für die Ernährungsberatung gibt“. Es scheint doch alles ganz einfach zu sein – mal schnell die notwendigen Empfehlungen abgeben – die Checkliste abarbeiten und schwups – verändert sich Verhalten dauerhaft….
Wie sagte aber Konrad Lorenz so treffend von mehr als 40 Jahren:
Gedacht heißt nicht immer gesagt,/ gesagt heißt nicht immer richtig gehört,/ gehört heißt nicht immer richtig verstanden,/ verstanden heißt nicht immer einverstanden,/ einverstanden heißt nicht immer angewendet,/ angewendet heißt noch lange nicht beibehalten.
Konrad Lorenz (1903-89), östr. Verhaltensforscher, 1973 Nobelpr.
Und an dieser Erkenntnis hat sich bis heute nichts geändert….nur bei der Adipositas soll das alles offenbar nicht stimmen…..und ein Schlauchmagen und ein Magenbypass ein probates Mittel zur „Behandlung“ sein.
von Sonja Mannhardt | Feb. 10, 2016 | Allgemein, Blog
Es ist eine Wohltat. Du betrittst den kleinen Verkaufsraum der Dorfbäckerei Singer in Auggen und wirst begrüßt mit einem Lächeln, einem freundlichen „Guten Morgen Frau Mannhardt“, einem unsagbar guten Geruch nach frischem Brot und Backwaren, die alles andere sind als Massenware. Manchmal erinnert es mich an Italien, wenn ich die Bäckerei betrete. Da stehen gemütlich bekannte Gesichter, trinken ihren Kaffee, essen ein Gebäck und reden angeregt miteinander. Man erzählt sich aus dem alltäglichen Leben, man begrüßt einander und hält ein kurzes Schwätzchen, während die Wartezeit überbrückt wird. Ich liebe das Vollkornbrot besonders, das schon anhand des Gewichts zeigt: Ich bin echt und ohne Backhilfsmittel hergestellt.
Ja, es gibt sie noch diese wunderbaren, artisanalen Traditionsbäcker. Sie repräsentieren ein Stück vergangene Zeit, die es, so meine ich, zu bewahren gilt. Mich überkommt ein geborgenes, wohliges Gefühl dabei, ein Stück Stabilität und Sicherheit in dieser Welt, die sich für viele viel zu schnell zu drehen scheint und die Menschen darin mehr und mehr verunsichert zurücklässt.
Doch Viele bemerken es nicht. Neulich ließ mich eine mir bekannte Person ganz stolz ihr Lieblingsbrot kosten. Es sei nicht nur gut, sondern auch sehr billig. Es stammt von einem Discounter und der Stolz über dieses Brot war ihr ins Gesicht geschrieben, so ein „Schnäppchen“ gemacht zu haben und auch noch „das beste“ Brot zu essen. Konservierungsstoffe, Backtriebsmittel, Backhilfsmittel, Farbstoffe zum vorgaukeln von „Vollkorn“ und Co. interessierte sie nicht, die gesparten 0,30 Cent waren ihr Lohn. Lohnt sich diese Pfennigfuchserei wirklich? Hat sie tatsächlich diese 0,30 Cent im Geldbeutel und am Ende des Monats ein paar Euro übrig? Wofür? Um noch mehr zu sparen, noch mehr „Geiz ist geil“ an den Tag zu legen, noch mehr Traditionsbäckern den Garaus zu machen? Lohnt sich das wirklich?
Mir wurde erzählt, dass das offenbar das erklärte Ziel vieler Discounter zu sein scheint. Kürzlich wurde gegenüber einem Gemeindebäcker, dem ein Knebelvertrag vorgelegt wurde, auf den er sich nicht einlassen wollte gesagt: „Wenn ihr Bäcker nicht mitmacht, dann stellen wir eben einen Backautomaten auf. Wir kriegen Euch schon tot.“
Eine Freundin aus dem hohen Norden sagte mir kürzlich, dass im Umkreis von 25km keine einzige Bäckerei mehr zu finden sei und man überhaupt keine Chance mehr hat, wirklich echtes, frisches Brot zu bekommen, sondern nur noch aufgebackene Backlingsware. Doch nicht nur im ländlichen Raum wird es langsam kritisch, auch in der Stadt. Als ich kürzlich in Freiburg war und in einer kleinen Seitenstraße einen Traditionsbäcker sah und in die wohlige Stube eintrat und mit der Chefin sprach, da erzählte Sie mir unter Tränen, dass allein in ihrer Straße mittlerweile vier Aufbackstationen sind und ihr über 150 Jahre altes Geschäft noch imselben Monat für immer schließen wird. Allein in der Kaiser-Josef-Straße, der Haupteinkaufsstraße in Freiburg schlossen 11 Bäckereien ihre Türen. Wer in der Innenstadt echtes Brot und frische Brötchen möchte muss weit laufen und ganz genau wissen, wo er sie findet….
Für mich geht es im Bäckereien-Sterben um viel mehr, als um Geld oder Qualität von Brot oder der Diskussion von Nährstoffen oder eine perfekte Allergenkennzeichnung oder um eine reine Geschmackssache. Es geht auch nicht um Nostalgie oder eine „früher war alles besser“-Diskussion.
Gehen wir 20 Jahre in die Zukunft. Viele von uns sind dann alt und nicht mehr so gut zu Fuß. Unser soziales Umfeld ist begrenzter, die sozialen Kontakte nehmen ab, weil viele Freunde, Bekannte und Verwandte verstorben sind. Wollen wir dann wirklich 20km fahren, um ein echtes Brot zu kaufen? Geht es dann wirklich um Geiz ist ja soooo geil oder vielleicht um etwas ganz anders? Wollen wir uns dann wirklich mit einem Backautomaten unterhalten, kein Gegenüber mehr haben, der uns „sieht“ und als Mensch wahrnimmt, oder wollen wir doch, wie bei Familie Singer, freundlich begrüßt werden, mit Namen; Menschen treffen, die in der Hektik des Lebens einen Moment innehalten und füreinander Zeit haben und sich gegenseitig das Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit spüren lassen?
Noch haben wir die Gelegenheit, ein Stück dieser Lebens-Sicherheit und dieses Lebens-Sinns zu bewahren, indem wir uns dem Geiz ist geil Virus entziehen und dafür Sorge tragen, dass kleine Familienbäckereien, wie die von Familie Singer, überleben, denn es sind nicht „nur Bäckereien“ und sie verkaufen auch nicht nur Brot, sondern ein Stück Lebensqualität.
[...] Geht es nur noch um Schein, um Hülle, um den großen Laufsteg, um “wer ist die Schönste im ganzen…