Ohne Selbstbeobachtung geht es nicht

Viele Menschen, die ihre Ernährung umstellen wollen, glauben, es sei möglich, durch Wissen sein Verhalten zu ändern. Einfach informieren und einfach den vorgegebenen Regeln folgen und gut ist.

Doch wer bereits einmal eine Diät machte, abnehmen wollte oder sich an einen Neujahrsvorsatz erinnert, der weiß: Schneller als man sich versieht, ist man wieder in alte Gewohnheiten zurückgefallen und gute Vorsätze über Bord geworfen.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und was Mensch tut, das macht er, weil er es für sinnvoll und gut erachtet! Und genau deshalb nützen Diäten nichts und genau deshalb ist das einfache Befolgen von Ratschlägen, Listen nicht von langer Dauer. Wer wirklich dauerhaft Erfolg haben möchte, wer tatsächlich sein Ess- und Ernährungsverhalten ändern möchte, der muss zunächst einmal genau wissen, was er wann, wie in welcher Art und Weise, wie oft und wozu tut.

Augen auf und hinschauen was is(s)t

Stellen Sie sich folgendes vor:

1. Unbewusst. Sie wollen von A nach B und geben die Route in Ihr Navigationsgerät ein. Nach einiger Zeit wundern Sie sich, dass Ihr Navi Sie vom Weg abbringt und statt des schnellsten Weges, für Sie den kürzesten Weg wählt und dabei jeden Umweg in Kauf nimmt …. Das Navigationsgerät folgt stur dem Programmierbefehl.

2. Bewusst-sein. Sie sitzen in einem Formel 1 Wagen und rasen mit verbundenen Augen durch Monte Carlo. Sie fahren und lassen sich nur von Ihrem Gefühl leiten …. Wie sicher sind Sie bei 300 km/h wohl unterwegs?

Und genau so verhält es sich beim Essen:

Kennen wir nicht alle Sätze wie diese: „Eigentlich weiß ich doch wirklich alles über gesunde Ernährung“, „Ich weiß, was ich tun müsste, um abzunehmen, aber ich halte es nicht durch“, „Der innere Schweinehund vereitelt all meine Abnehmversuche“. Doch was steckt dahinter?

> Der Mensch isst nicht aus Vernunftsgründen, sondern noch immer wie ein Steinzeitmensch. Doch Not kennen wir schon längst nicht
mehr
> Der Mensch isst nicht aus Vernunftsgründen, sondern so, wie es ihm GUT tut, egal wie unerwünscht ihm sein Verhalten auch scheint.
> Der Mensch kann nur etwas an seinem Verhalten ändern, wenn er genau hinschaut, genau beobachtet, genau begreift und versteht, was
er genau macht.
> Das Ess- und Ernährungsverhalten des Menschen ist ein solch komplexes Geschehen, wie das Autofahren und um gut zu fahren, müssen
wir uns der bewussten Handlungen und unbewussten Motive gewahr werden.


Wer sich selbst gut beobachtet, ist erfolgreicher

„Die erste aller Wissenschaften ist sich selbst zu kennen.“ (Platon)

Die Beobachtung als Instrument der Selbstreflektion ist nicht neu. Bereits in der Antike waren sogenannte Hypomnema Schreibhefte und Notizbücher zur Gedächtnisstütze. Sie waren unverzichtbare Instrumente der Sammlung, Ordnung, Reflexion und Selbstbetrachtung und ersetzten den Blick des Freundes in der Selbstprüfung (1,2)

Heute definiert man die Selbstbeobachtung (auch Introspektion genannt), als Betrachtung, Beschreibung und Analyse des eigenen Erlebens und Verhaltens durch Beobachtung.  Sie kann zu Selbsterkenntnis führen und ist zusammen mit der  Selbstwahrnehmung für die eigene Bewusstseinsbildung und die Ausbildung des Selbstbewusstseins unentbehrlich (Wiki).

Bereits in den 70ger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde untersucht, ob es einen Unterschied im Erfolg macht, ob jemand sich auf sein Gewicht als Ziel, oder seine Verhaltensweisen konzentriert (3). Und seitdem wird die Bedeutung der Selbstbeobachtung intensiv erforscht. Viele Studien konnten zeigen, dass Menschen, die sich selbst gut beobachten, weitaus bessere Erfolge haben, als solche, die es nicht tun. (4,5). Auch bezeichneten viele Menschen, die Methode der Selbstbeobachtung als äußerst wichtig, um ein Gewichtsziel zu erreichen (6,7).

Aber Selbstbeobachtung kann noch mehr. Man hat vielfach festgestellt, dass sich durch die Selbstbeobachtung einige Verhaltensaspekte bereits verändern können (8). Da das Ess- und Ernährungsverhalten stark automatisiert ist, also hochgradig unbewusst abläuft, da weiterhin das Ess- und Ernährungsverhalten mehrere hundert Einzelverhaltensweisen umfasst, führt eine Protokollierung des Essverhaltens unweigerlich dazu, dass unbewusste Verhaltensweisen bewusster gemacht werden.

Man kann dieses Phänomen auch seinsanalytisch erklären: Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen, das immer und immer wieder das tut, was sich in der Vergangenheit als gut und sinnvoll erwiesen hat. Die permanent, unbewusste Vergegenwärtigung von Gewesenem hilft dem Mensch auf „sicheren Pfaden“ zu bleiben. Doch diese Vergegenwärtigung läuft großenteils unbewusst ab und bleibt uns, wie bei einer Navi-programmierung verborgen. Die Selbstbeobachtung unterstützt uns folglich dabei, vergangene Handlungen zu gegenwärtigen und uns damit unbewusste Handlungen bewusst zu machen.

Selbstbeobachtungs-Tagebücher – Schrift versus Bild

„Ich habe in der Kur Tagebuch geführt“ sagt mir stolz eine Patientin und zeigt mir Ihre Essprotokolle. Auf meine Frage „Was haben Sie dadurch für Schlüsse gezogen? Was machen Sie heute anders?“, antwortete Sie: „Ich habe gemerkt, was ich überhaupt esse und habe auf manche Sachen verzichtet und ein wenig mehr Gemüse gegessen.“ Auf eine weitere Frage: „Und die Lebensmittelmenge, die Zubereitung, die Augewogenheit von Mahlzeiten. Konnten Sie da auch schon etwas ändern?“, antwortet die Patientin: „Ich weiß doch gar nicht, was da richtig und normal ist, wie soll ich das dann ändern?“. Und damit hat sie vollkommen Recht!

In vielen Beratungspraxen werden Sie gebeten, ein sogenanntes 7-Tageprotokoll zu führen. Sie schreiben 7 TAge auf, was sie wann, wie und in welchen Mengen gegessen haben. Aus zahlreichen Studien ist jedoch bekannt, dass das was aufgeschrieben wird, bis zu 50% von dem abweichen kann, was tatsächlich gegessen wurde (9). Dies gilt insbesondere für Kinder, Kranke, Übergewichtige und Menschen mit Essstörungen. Doch ich bezweifle, dass dieses „underreporting“ wissentlich erfolgt, sondern behaupte, dass das Instrument selbst (Notizen auf Papier) dafür verantwortlich ist und darin begründet ist, dass diese Art der Protokollierung nicht in der Lage ist, sämtliche Schritte, die notwendig sind, um eine Beobachtung auch tatsächlich zu gewährleisten, einfach nicht gegeben sind, geschweige denn, Korrekturmaßnahmen einzuläuten.

Aus über 20 Jahre Erfahrung mit Essverhalten und Selbstbeobachtungs-Tools sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die schriftliche Dokumentation des eigenen Essverhaltens nicht annähernd so effektiv ist, wie dies über bildliche Dokumentationen möglich ist. Deshalb haben wir über die letzten 5 Jahre eine Smartphone-App entwickelt, was eine gänzlich neue Ära des Esstagebuchs einläutet. Mehr dazu in Kürze. prof.eat Smartphone APP für Sie und eine effektive Beobachtung Ihres Ess- und Ernährungsverhaltens.

(1) Detlef Thiel (1993). Platons Hypomnemata. Die Genese des Platonismus aus dem Gedächtnis der Schrift. Karl Alber, Freiburg

(2) Luc Van der Stockt (1999). A Plutarchan Hypomnema on Self-Love. In: The American Journal of Philology. Band 120, 575–599.

(3) Mahoney M.J. (1974). Self-reward and self-monitoring techniques for weight control. Behavior Therapy, Vol. 5(1), p48-57

(4) Lowe MR. Self-regulation of energy intake in the prevention and treatment of obesity: is it feasible? Obes Res. 2003 Oct; 11 Suppl: 44S-59S.

(5) Burke LE, Wang J, Sevick MA. Self-monitoring in weight loss: a systematic review of the literature. J Am Diet Assoc. 2011 Jan;111(1):92-102

(6) McGuire MT, Wing RR, Klem ML, Seagle HM, Hill JO. Long-term maintenance of weight loss: do people who lose weight through various weight loss methods use different behaviors to maintain their weight? Int J Obes Relat Metab Disord. 1998 Jun;22(6):572-7.

(7) Klem ML, Wing RR, McGuire MT, Hill J=. Does weight loss maintenance become easier over time? Obes Res. 2000 Sep;8(6):438-44.

(8) Seemann H (1997) Tagebuchverfahren – Eine Einführung. In: Wilz G & Brähler E (Hrsg) Tagebücher in Therapie und Forschung. Ein anwendungsorientierter Leitfaden. Hogrefe, Göttingen S. 13-33

(9) Müller, M (1998). Ernährungsmedizinische Praxis: Methoden — Prävention — Behandlung, Springer Verlag. S.36-37

 

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