freefromNatürlich gibt es sie und dafür sind wir Ernährungstherapeuten ja auch da. Menschen mit Laktose-, Fruchtzucker, Sorbitunverträglichkeit, oder mit einer Glutenunverträglichkeit. Wir unterstützen Menschen mit Unverträglichkeiten bei der Analyse Ihrer Beschwerden, bei der Diagnostik, empfehlen Ihnen Ärzte und Labors, wo seriöse Tests durchgeführt werden und begleiten Betroffene dabei,  einen sehr individuellen, genüsslichen Ess- und Ernährungsweg zu finden, trotz oder gerade wegen der bestehenden Diagnose.

 

Keine Nahrungsmittelunverträglichkeit macht mit dem Speiseplan und der Auswahl kurzen Prozess und kein Betroffener reagiert auf alle Lebensmittel unverträglich. Jegliche Versuche zu pauschalisieren oder zu übertreiben sind daher selbst bei Betroffenen sinnlos, denn im Gegensatz zu echten Nahrungsmittelallergien und einer echten Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) ist insbesondere Laktosemalabsorption vergleichsweise harmlos und auch eine Furchtzuckerunverträglichkeit niemals mit einer Nullmenge zu beantworten, und nicht wirklich als „Krankheit“ zu bezeichnen. Asiaten haben von Natur Beschwerden auf den Konsum von Milch, aber keiner von Ihnen würde sich als krank bezeichnen….Anders bei uns: Mittlerweile scheinen mehr Menschen an Lebensmittelunverträglichkeiten Gefallen zu finden, als tatsächlich betroffen sind. Wie ist dieses Phänomen zu verstehen?


Früher war man glücklich nicht krank zu sein, heute ist es schick etwas zu haben?

Ich spreche mit der Leiterin einer BGM Abteilung einer großen Firma. Sie findet es mittlerweile unterträglich, wie die Mitarbeiter an allem und jedem Essen herummäkeln und lauthals herausbrüllen, was sie alles nicht vertragen. Sie selbst leidet an einer schweren Lebensmittelallergie und an Asthma und kann es nicht verstehen, wie sich viele Leute wegen der Lakose anstellen, obwohl nachweislich die meisten dieser Leute noch nicht einmal beim Arzt waren und einen Test durchführen ließen. Ich solle dazu mal einen Vortrag halten.

Als ich mit über Mittag kurz mit einer Freundin auf einen  kleinen Espresso treffe, höre ich am Nebentisch ein Gespräch. „Ist da auch garantiert keine Laktose in der Milch, die sie benutzen. Und haben sie noch etwas anderes, als Käsebrot. Ich vertrage keinen Weizen und in Käse ist auch Laktose. Haben Sie keinen vegetarischen Brotaufstrich?“ Die Frau erfreut sich sichtlich der Aufmerksamkeit, die ihr sowohl der Kellner, als auch die anderen Gäste schenken.

Ich denke über mehrere Dinge nach: Hätte sie wirklich eine schwere Laktosemalabsorption, dann wüsste sie, dass in Hartkäse gar kein Milchzucker drin ist und sie würde sich eher still verhalten, um mit ihren Extrawünschen nicht aufzufallen.

Meine Freundin ist ebenfalls bass erstaunt und berichtet von ihrem Geburtstag, an dem ich zwar auch war, aber nicht bemerkte, was sich kulinarisch abspielte. Sie sagte, sie erhielt 5 Anrufe, bei dem sich Gäste zwar für die Einladung bedankten, doch sofort ihre Sonderbestellungen aufgaben. „Kein Rotwein und keinen gekochten Schicken – du weißt ja – mein Histamin; ich hoffe, es gibt keinen Käse ich bin Laktose intolerant; machst Du  auch etwas veganes? ; Abends esse ich keine Kohlenhydrate und die letzte Freundin fragte, ob Sie ihr glutenfreies Essen mitbringen muss, oder ob es auch etwas für Sie gäbe.“ Meine Freundin hatte schon im Vorfeld keinerlei Lust mehr auf ihren Geburtstag. Ihr standen förmlich die Schweißperlen und die Zornesröte im Gesicht, als sie davon berichtet.

Und was erzählt mir in der Supervision eine Kindergartenleiterin? Die Anzahl an kleinen Kindern mit „Unverträglichkeiten“ sei massiv angestiegen. Die ganzen Extrawürste (mein Kind isst nur vegan, mein Kind verträgt keinen Milchzucker, mein Kind darf keinen Fruchtzucker essen, mein Kind reagiert stark auf Weizen – sie bekommt nur Dinkel. Mein Kind hat Neurodermitis und soll keinen Zucker, mein Kind ist hyperaktiv und soll Phosphatarm….) machen einen Mittagstisch mittlerweile fast unmöglich. Als unlängst beschlossen wurde, dass nur noch Diäten berücksichtigt werden, die ärztlich diagnostiziert und attestiert wurden, gab es einen Aufschrei, man würde eine Gesundheitsgefährdung der Kinder billigend in Kauf nehmen. Man beschwerte sich beim Träger und drohte damit, die Kinder aus den Kindergarten zu nehmen. Sie schildert, wie bereits kleine Kinder den Status des „Besonderen“ lieben und damit kokettieren. „Ich darf nichts mit Laktitose essen und Du?“

Nicht nur, dass gefährliches Halb- und Laienwissen hinter obigen restriktiven Diäten steckt, es scheint so, als ob es mittlerweile en vogue ist, selbst Arzt zu spielen und darauf zu bestehen, dass die eigene Diagnostik schon die richtige sei.
Ich kenne hunderte von Kindern mit Allergien und schweren Unverträglichkeiten bis hin zur angeborenen Fruchtzuckerintoleranz, die bereits im ersten Lebensjahr gefunden wird….Diese Kinder haben nur einen Wunsch:“ Ich will so sein, wie die anderen. Ich will nicht auffallen. Ich will „normal“ sein und „normal“ essen.“ Doch bei obigen Beschreibungen scheinen das Gegenteil zu zeigen. Auffallend anders sein – auch beim Essen ist Trend.

Eine Mutter meldet ihre 17-jährige Tochter an. Sie habe immerzu Bauchweh und würde gefährlich abnehmen. Sie habe bestimmt eine Milchzuckerunverträglichkeit, da Durchfall auch nicht auszuschließen ist, so die Mutter. Sie habe vorsorglich schon jegliche Spuren von Milchzucker weggelassen, kaufe nur noch Laktosefreie Produkte, doch die Beschwerden der Tochter seien noch nicht verschwunden. Jetzt möchte sie mit meiner Hilfe nach noch versteckten Laktosespuren suchen. Was nach einer Stunde Beratung offensichtlich ist. Dieses Mädchen leidet nicht an Laktoseunverträglichkeit, sondern an einer sich verschärfenden Anorexie. Diese Gefahr hat die Mutter nicht erkannt.

Und eine weitere Patientin der vergangenen Wochen war sichtlich erbost, als ich ihr nach einem einstündigen genauen Assessment und der Analyse ihres Symptomtagebuchs eindeutig nachweisen konnte, dass ihre Beschwerden absolut nichts, aber auch rein gar nichts mit der von ihr vermuteten Laktoseunverträglichkeit zu tun haben können. Milchzucker verursacht Durchfall, keineswegs Verstopfung! Man gibt Milchzucker sogar Säuglingen, damit diese besser stuhlen können. Auch macht Milchzucker keine Müdigkeit und auch keine Kopfschmerzen. Doch sie wollte keine Beratung. Sie wollte in der Beratung lediglich eine Bestätigung ihrer eigenen Diagnose und eine „Liste“ auf der draufsteht, was sie bei Laktoseunverträglichkeit nicht „essen darf“.

Während man sich früher begrüßte mit „Bisch g´sund?“ Oder „Alles bestens?“ und verabschiedete mit „Bleib gesund“ und  sich jeder freute, wenn es dem anderen und einem selbst gut ging, so überkommt zumindest mich, da ich tagtäglich mit Menschen zu tun haben, die tatsächlich schlimme Krankheiten haben, ein mulmiges Gefühl.

Und damit bin ich nicht alleine. Auch die mit mir kooperierenden Ärzte klagen und witzeln. Sie sprechen bereits von einem „Morbus Google“. Anstatt bei Beschwerden zum Arzt zu gehen und ihm und seiner Fachkompetenz zu vertrauen, kommt der moderne Patient nicht selten mit einer fixfertigen Google-Diagnose zum Arzt und will diese nur noch bestätigt wissen.

 

In ein paar Tagen geht es weiter mit Teil 2

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