DSC03221Viele nicken vielleicht, wenn sie den Satz lesen:“ Kind, Du musst doch etwas essen.“ Irgendwann können sich die Rollen (Eltern-Kind-Rolle) aber vertauschen. Weil man selbst damit erzogen wurde, wird diese angebliche Führsorge an die an Demenzerkrankten zurückgeben. Was für eine Bedeutung hat „Essen“ denn in unserem Leben?

Essen ist EMOTIONAL und sozial verortet


Zum Essen kommen Menschen zusammen, teilen das Brot, machen gemeinsam Rast, pflegen Gemeinschaft. Menschen sind nicht „bei einer gesunden, vernünftigen Ernährung und ihrer Gesundheit“, wenn sie gemeinsam speisen, sondern bei EINANDER, beim gemeinsamen ESSEN, in STIMMUNG.

Wie häufig erlebe ich es, dass Menschen mit Demenz alleine „abgefüttert“ werden, weil „ES unappetitlich“ ist? Wie häufig erlebe ich es, dass das einzig Soziale darin besteht, dass ein „zu Fütternder“ mit einem „Fütterer“ an einem Tisch sitzen und nichts weiter geschieht, als dass der „Fütterer“ wert darauf legt, dass gegessen und getrunken wird.

Wenn Menschen mit Demenz etwas noch sehr gut beherrschen, dann ist dies „unsichtbare Stimmungen, Schwingungen und Gefühle“ wahrzunehmen. „Du gehörst nicht mehr dazu“, „ich habe keine Zeit und nicht die Geduld“, „ich esse nichts aber du musst jetzt“, das spüren betroffene Menschen gewiss genau so nackt und deutlich, wie ein kleines Kind, welchem verwehrt wird, als respektiertes Mitglied einer Gemeinschaft, an einem gemeinsamen Tisch zu sitzen und gemeinsam ZEIT MITeinander zu verbringen. Wird ein solches Kind stattdessen im Hochstuhl „abgefüttert“, dann macht auch dieses Kind deutlich auf diesen unsozialen und emotional beLASTenden Zustand aufmerksam.

Das Recht auf SELBSTbestimmung und echte Zuwendung.

Betrachten wir den ersten Akt im Leben eines Menschen, ein selbstbestimmtes Wesen zu werden, dann sind wir sofort bei der Mutterbrust, also der Nahrungsaufnahme. Bereits dort ist diese ein soziales und emotionales Ereignis. Das Kind bestimmt, OB es Hunger hat, WANN es bereit ist zu essen und auch, WIE VIEL es zu sich nimmt. Wird dieses empfindliche Gefüge und dieser erste Akt der SelbstTÄTIGkeit und Selbstverantwortlichkeit gestört, wird leichter Druck oder Zwang ausgeübt, wird dem Kind die echte, ungestörte, liebevolle Zuwendung verwehrt, so wehrt sich auch schon ein Kind. Es hört auf zu essen, presst die Lippen zusammen, macht sich steif und überstreckt sich nach hinten, schreit, befördert mit der Zunge, alles, was zwanghaft in seinen Mund gelangt, wieder heraus. Etwas später schlägt es Löffel, die vor dem Mund stehen oder Lappen, die unsacht den Mund abwischen einfach weg. Wird dieses „gut gemeinte“ Spiel um Macht überzogen, verweigern selbst kleinste Kinder das Essen, oder scheuen sich nicht, das, was sie „zum kotzen“ finden auch in derselben Weise deutlich kund zu tun.

Könnte es sein, dass ein Teil der „Schwierigkeiten“ bei Tisch nicht mit dem Patient, sondern auf der Beziehungsebene zu suchen ist? Könnte es sein, dass „liebevolle Ratschläge“, liebevolles „zerkleinern“, liebevoll gemeintes „Helfen durch Füttern“, als Beschneidung der Selbstbestimmung empfunden wird? Könnte es sein, dass betroffenen Menschen, trotz ihrer Eingeschränktheit gefragt werden wollen, was sie selbst tun wollen und wobei sie Unterstützung wünschen? Kann es sein, dass es darum geht, Betroffene im Bereich „Nahrungsaufnahme“, dem ersten Ort der menschlichen Selbstbestimmung, besonders „empfindlich“ reagieren, wenn man diese letzte Domain der MIT- oder Selbstbestimmung, durch Überfürsorglichkeit beschneidet? Kann es sein, dass es Betroffenen nicht selten an echter Zuwendung fehlt und sie sich bei Mahlzeiten eine gewisse Aufmerksamkeit einfordern, um uns zu zeigen: „Ich bin noch da und ich habe eine Meinung. Beziehe mich so lange es geht in deine Entscheidungen ein. Ich bin noch da und verteidige die letzten Bastionen meiner Selbstbestimmung. Ich bin noch da, hilf mir, solange ich es kann Dinge SELBST zu tun. Ich bin noch da und trotz meiner Demenz ein erwachsener Mensch, der so lange es geht ein aufrechtes und selbstbestimmtes Leben führen möchte. Ich bin noch da und DEINE Angst, ich könne sterbe, wenn ich nicht esse oder trinke, ist nicht meine. Sprich mit mir über DICH und DEINE Gefühle, anstatt an meine Vernunft zu appellieren und du wirst sehen, ich komme dir gerne entgegen so gut ich kann und möchte.

WEBINAR Demenz. Aufgrund der sehr guten Rückmeldungen wird die Reihe fortgeführt. Ich freue mich über zahlreiche Anmeldungen.

https://www.edudip.com/webinar/DEMENZ.-Online-Unterst%C3%BCtzung-f%C3%BCr-Angeh%C3%B6rige/60394#description
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Weitere Informationen unter:

 

Essen ist mehr
https://www.wegweiser-demenz.de/385.html

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