„Hallo Frau Mannhardt, wir brauchen für unsere übergewichtige Tochter dringend einen Termin. Unser Arzt meint, sie müsste mindestesn 12 kg Gewicht verliegen.“
Solche oder ähnliche Telefonate bekomme ich fast täglich. Und diese beiden Sätze auf meinem Anrufbeantworter haben es in sich. Ein Grundprinzipt der Beratung lautet: „Beratung ist freiwillig“ und doch sieht die Realität häufig anders aus.
Es lohnt sich daher, einmal genauer hinzuschauen.
FREIWILLIGKEIT
Die Beratungsprinzipien von Wunderlin und Hans Josef Tymister besagen, dass nur dann von Beratung gesprochen werden kann, wenn das Prinzip der Freiwilligkeit gilt. Nur wer aus freien Stücken diese Dienstleistung in Anspruch nimmt, ist freiwillig da und damit Klient. Gegen seinen Willen kann nicht beraten werden, denn dann handelt es sich nicht mehr um Beratung, sondern um Gängelei und Zwang.
Schauen wir also die folgende Anmeldung an:
WER ist hier Kunde und WER ist der Auftraggeber?
> Die Beratung soll für die Tochter sein. Sie ist aber weder der Auftraggeber, noch der Anrufer.
> Der Arzt meint es müssten 12kg abgenommen werden. Damit ist auch die Mutter nicht der Auftraggeber, sondern nur ein Übermittler der Bestellung.
> Ist etw der Arzt Kunde und Auftraggeber, aber abwesend anwesend?
Nehmen Berater einen solchen Auftrag an, ohne diese Sätze, diese unklare Auftragslage zu hinterfragen, so kommen sie in Teufelsküche. Sie folgen dem Auftrag des Arztes und verletzen das Prinzip der Freiwilligkeit gegenüber der Tochter.
Nicht selten finden sich solche Klienten in den Beratungen ein.
Woran erkennen wir Unfreiwilligkeit?
Sie sind nicht wirklich „da“, sie schweigen, drucksen herum,, sind wortkarg, blicken zu Boden.
Kinder verstecken sich beim hereinkommen gerne hinter den Eltern, wollen nicht hereinkommen, schauen die Eltern an, anstatt auf Fragen zu antworten.
Und wenn geredet wird, dann kommen Sätze wie: „Meine Mama sagt“, „Der Arzt meint“, „Mein Mann möchte“ oder Ähnliches.
Die Effektivität hängt im Wesentlichen von Freiwilligkeit ab
Aus der „Greatest Ever“ Executive Coaching-Outcome Study von Prof. Dr. Erik de Haan, wissen wir, wie wichtig die Beziehung zwischen dem Klienten und dem Berater ist. Diese hängt nach seiner Forschung ganz wesentlich von der Selbstwirksamkeitserwartung des Klienten ab. Ist dieser also überzeugt davon, durch SEIN EIGENES KÖNNEN und TUN etwas zu bewirken, dann sind die Chancen auf einen wirkungsvollen Ausgang der Beratung wesentlich größer. Und diese Vertrauen in die eigene Wirksamkeit ist natürlich ganz wesentlich abhängig vom Faktor „Freiwilligkeit“.
Wer geschickt wird, gezwungen wird, überrumpelt wird, wer das Gefühl hat, selbst nichts tun zu können, nicht mitreden zu können, weil andere ja bereits FREMDbestimmt haben, wer, wo, was, zu wollen hat, dessen erfolgreiche Beratung wird von vorne herein bereits sobottiert, nicht durch ein Nicht Können, sondern durch ein Fehlen von Freiwilligkeit.
Menschen wollen gefragt sein, Menschen wollen selbst bestimmen, Menschen wollen FREIwillig wollen, insbesondere dann, wenn sie bereits sollen sollten. Um dies zu erreichen, sollte von Beraterseite alles dafür getan werden, dass Menschen die wir als Klienten betrachten, auch tatsächlich unsere freiwilligen, selbstbestimmten Klienten sind.
Was ist folglich zu tun?
- Ich frage die Mutter, was denn die Tochter dazu sagen würde, wenn diese wüsste, dass sie bei mir einen Termin vereinbart (Freiwilligkeit?)
- Ich frage, ob die Mutter meine, dass die Tochter auch zur Beratung kommen würde (Freiwilligkeit?)
- Ich bitte darum, mit der Tochter sprechen zu dürfen, um sie selbst zu fragen, was genau denn ihr Wunsch sei (Freiwilligkeit und Auftrag)
- Allerspätestens beim ersten persönlichen Termin, beginne ich nochmals mit dem Thema Freiwilligkeit und frage, ob es wirklich in Ordnung ist, dass wir eine Stunde miteinander sprechen (Manchmal frage ich Kinder auch ganz offen und direkt, ob sie vom Arzt geschickt wurden, oder von den Eltern gegen ihren Willen zu mir verschleppt wurden und dann hole ich mir den Auftrag des Klienten ein, denn nur er alleine ist mein Kunde.
Und was ist mit dem Wunsch des Arztes und evtl. Wünschen der Eltern? Diese Wünsche sind Wünsche und werden als solche auch betrachtet. Auftraggeber ist und bleibt einzig und alleine der Klient.
Sollten Sie, werte Kollegen Unterstützung benötigen, die Freiwilligkeit als Beratungsprinzip viel intensiver in Ihren Beratungsalltag zu integrieren, so stehe ich gerne mit Supervision zur Seite.
Sollten Sie, werte Klienten und Patienten das Gefühl haben, bei Ihrem Berater oder Therapeut gar nicht freiwillig zu sein, so entscheiden Sie sich a.) entweder für ein klares JA, ich will oder b.) NEIN ich will nicht. Und wer das geschafft hat, der hat bereits einen riesigen Meinenstein auf der Wegstrecke zu einem selbstbestimmten Leben erreicht, denn er hat sich für die schwierigsten Worte entschieden: Ja und Nein, wobei das NEIN für Viele noch eine Spur schwerer ist.
Wenn das Herz das Gute freiwillig annehmen kann, so findet es sich immer eher, als wenn man es ihm aufdringen will.Johann Wolfgang von Goethe